Die Theelacht zu Norden - Ostfriesland Kalender 1922 -
Von Anton Gundermann, Hamburg
In den alten ostfriesischen Ueberlieferungen hat sich im Kreise Norden ein eigenartiges Denkmal vereinzelten Altrechtes aus der taufendjährigen Geschichte friesischer Agrar- und Rechtsverfassung bis auf den heutigen Tag erhalten. Das ist die Theelacht zu Norden. Dieses uralte Agrarrecht hat im Laufe der Zeit wohl jeden, der sich näher mit der ostfriesischen Geschichte befaßte, zu Erklärungsversuchen angeregt, ohne daß einer von ihnen als gelungen bezeichnet werden könnte. Das Dunkel über den Ursprung der Theelacht ist bis in seine letzten Ausläufer nicht erhellt, denn die ersten Urkunden finden sich erst im 15. Jahrhundert, während durch die Sage der Ursprung der Theelacht in die Jahre 880 bis 884 gelegt wird. Es bleibt im Interesse der Geschichte hoffentlich einem Forscher vorbehalten, hier restlose Klärung herbeizuführen. Bei den Besuchen zur Klärung des Ursprungs der Theelacht ist zu berücksichtigen, daß diese eine fachliche und eine wörtliche sein muß, weil sich beide ergänzen.
Von sächlichen Erklärungen gibt es drei:
Eine der Ueberlieferungen schreibt die Entstehung der Acht einem Siege der in der Norder Gegend wohnenden Bauern über die Normannen in den Jahren 880 bis 884 zu, von den die Küste bei Norden angegeben. Dieser Vorgang ist von der Sage seit etwa 1580 geschäftig ausgeschmückt worden. Es wird erzählt, daß der Bremer Erzbischof Rimbert, der in der Geschichte auch unter dem Namen Rembert oder Rembertus vorkommt, zu dessen Diözese das östliche Ostfriesland und der Norder Kirchensprengel gehört, sich beim Ausbruch des Normannensturmes im Jahr 884 zufällig in Norden befand. Um den Sieg zu erringen, kniete er auf dem jetzt auf der Höhe des Norder alten Friedhofes gelegenen großen Feldstein (Findling) nieder und betete hier solange, bis die Schlacht gewonnen war. Als er aufstand, hatten die Knie Löcher in den Stein gedrückt.
Dieser Stein ist der bekannte Woortensteen oder Warzenstein, so genannt, weil dem dauernd in seiner Vertiefung stehenden Wasser Heilkraft gegen die Warzen zugesprochen wurde.
Noch bis in die 70er Jahre hinein wurde das Wasser zu diesem Zweck dem Stein entnommen. Nach alten chronologischen Ueberlieferungen sollen in dieser Schlacht nicht weniger als 10377 Normannen erschlagen worden sein. Das Schlachtfeld muß wohl eine ansehnliche Ausdehnung gehabt haben. Die Sieger sollen dann das gewonnene Land zu gemeinsamen Besitz behalten haben. In einem von der Theelacht am 31. Juli 1660 an den Grafen Georg Christian von Ostfriesland gerichteten Gesuch um Bestätigung „der wohlhergebrachten Constitutionen und Privilegien“ wird neben der alten Sage von der Normannenschlacht in der Eingabe doch hinzugefügt, daß “ wahrscheinlich übriges Land angewachsen und vermittelst der Teich (Deiche) der wilden See abgenommen sei“ Dieser Normannenursprung der Theelacht ist schon früh und nicht ohne Berechtigung angefochten worden, denn es konnte überzeugend eingewendet werden, daß wenige Bauern das Heer der Normannen nicht hätten besiegen können und das Land ja schon vorher den Anwohnern gehört haben müßte, also keineswegs herrenlos gewesen sein könne, denn den Normannen die in das Land eingebrochen sind, hat es ja nicht gehört. Wahrscheinlich findet die Eintragung dieser Entstehungsanschauung gelegentlich der Drucklegung der ersten Urkunde der Acht ihren Grund in dem Wunsche einer ruhmvollen Gründungsgeschichte.
Die zweite Auffassung über die Entstehung der Acht ist im Anschluß an die Normannensage eine Parallele zwischen Theelacht und Lehnrecht. Man begründet dies, abgesehen von der angeblichen Entstehung aus kriegerischen Verhältnissen damit, daß Theelacht und Lehnrecht beide ursprünglich nur ein Erbrecht der Nachkommenschaft kennen und dem männlichen Geschlecht den unbedingten Vorzug geben. Dieser Vergleich muß die Theelacht als Lehnsherrschaft auffassen und läßt einen wesentlichen Punkt des Theelrechtes unberücksichtigt, nämlich den der Vermehrung der Theele im Erbgang.
Die dritte Erklärung läßt die Theelacht als Deichgenossenschaft erscheinen. Danach haben eine Anzahl Norder Eingesessener Ländereien eingedeicht und wegen der damit haftenden Gefahr in Gemeinschaft behalten und wie es weiter heißt „auch solcher Gestalt nach teils altdeutschen Rechts und Gewohnheiten teils angenommenen Willküren auf ihre Nachkommen vererbt“ Für die Berechtigung dieser Auffassung soll sprechen, daß die Theelachtsländereien Marschland seien, wie denn in den Rechtsnormen für die Marschlande derartige Bestimmungen vorkommen. Die wörtliche Erklärung bietet Schwierigkeiten wegen der Beiden Bezeichnungen „Teen“ und Teel“. Diese Worte werden verschieden gedeutet und gelten zurzeit in beteiligten Kreisen als Anteil. Dann müßte es indes wohl Deel statt Teel heißen. Dr. Friedrich Swart aus der Westermarsch hat seiner vor Jahren erschinenen Doktordissertation die Geschichte der Agrarverfassung unserer engeren Heimat zugrunde gelegt. Ausführlich behandelt er darin die Theelacht. Er ist bei seinen Forschungen über diese zu dem Resultat gekommen, daß die bisherigen Erklärungen über die Acht an dem Grundfehler leiden, daß sie die eigentümliche Vererbung der Erbtheele nicht ausreichend zu begründen vermögen.
Das geschieht auch nicht durch die Annahme, daß die Theelacht als eine Deichgenossenschaft ihr Erbrecht nicht einfach aus der Luft gegriffen werde. Swart fragt, die Theelacht sei ursprünglich nichts weiter als eine Bauernschaft oder eine Mehrzahl von Bauerschaften. Sie sei zugleich Deichverband, was indes nichts besonderes sei, da die Deichverbände mit der Gerichts- und Agrarverfassung zusammenfälle.
Die Theelacht umfaßt in alter Zeit die ganze Marsch, in der jetzt ihre Ländereien verstreut liegen. Die Ländereien der Theele sind zum Teil unter die Bauern aufgeteilt, namentlich die fruchtbaren und zum Ackerbau tauglichen, zum anderen Teil dienen sie als gemeine Weide. Volles Bauerrecht soll jeder haben, der als Bauer geboren ist, wenn er einen eigenen Hausstand begründet. Jeder Familienvater erhielt deshalb volles Recht an der gemeinen Weide (ein Theel), wenn er es auch als Privatland nicht erhalten konnte, seit die Neuverteilung der Flur unterblieb. So erklären sich die eigentümlichen Erbrechtsbestimmungen, ebenso der Heimfall der Berechtigung an das Theel, wenn ihre Grundlage, die Bauernfamilie, zu existieren aufhörte, so erklärt sich namentlich auch die Bestimmung, daß niemand mehr als ein Erbtheel in jedem „Buch“ nutzen darf.
Jede Familie soll volles Recht haben, aber auch nicht mehr. Das Recht der Pächter der alten Gemeinweide war das allgemein übliche, es erhielt im Theelrecht dieselbe Fassung wie ostfriesischen Landrecht. Wie fast überall in Ostfriesland, wurde es auch hier zur Erbpacht. Dadurch, daß die Pächter der Acht noch anderes Land bewirtschaften, das ihnen als Eigentum angehörte, ferner auch dadurch, daß Erbbauern zugleich Pächter waren, wurde es möglich, daß Teile der Theelländereien Privateigentum wurden, wenn man sich auch schon früh gegen eine solche Verdunkelung zu schützen suchte. Daß man später den Ursprung des unverstandenen Instituts auf die Normannenzeit zurückführte, ist verständlich, wenn man den nachhaltigen Eindruck bedenkt, den diese Zeit in der Erinnerung der Küstenbewohner hinterließ. Dieser Gedankengang unterstützt Dr. Swart durch eine Reihe von Urkunden, von denen die wichtigste eine aus dem Jahr 1518 ist, in der Graf Edzard von Ostfriesland verfügt, daß Inhaber von Erb- oder Kauftheelen nicht berechtigt seien, dieses „üthgenomen“ Land als eigen Land „sall gebunden“.
Die Theelacht ist eine Genossenschaft von Anteilsberechtigten an den Theellanden, eine große Fläche erbpachtpflichtigen Marschlandes im Hager und Nessmer Kirchspiel. Das Obereigentum steht mehreren Familien im alten Norder oder Berumer Amt zu. Die Ländereien zerfallen in acht Theele oder Bücher, das Neugroder, Gaster, Osthover, Eber, Ekelner, Linteler, Trimser und Hoover Theel, zusammen reichlich 2000 Diemat oder reichlich 1200 Hektar mit fast 3000 Gulden Erbpacht. Es ist kein geschlossener Komplex, sondern von anderen Ländereien durchbrochen, sehr häufig mit den Eigenländerein eines Bauernherdes ver- schmolzen, so daß man zwar weiß, daß bei dem Herd eine Anzahl Thellande sind, dieser aber im einzelnen nicht mehr nachweisen kann. Der Boden ist alter Marschgrund von verschiedenartiger Beschaffenheit, aber meist von geringer Güte, dazu kommt später eingedeichtes Groden- oder Polderland.
Abgesehen von diesen Grodenland war es wenigstens früher meist minderwertiges Weide- und Wiesenland. Je zwei Bücher werden zusammen verwaltet und unterstehen einem von den Mitgliedern, den „Arvburen“ gewählten Theelachter, der gleichfalls Arvbur sein muß. Der Hauptzweck der Bestimmungen über die Eigentumsrechte an den Theelen ist der, daß die Theele in der Gesellschaft der Theelbauern bleiben und nicht in fremde Hände kommt. Niemand kann seine Erbtheele an Fremde veräußern, wenn er auch keine Kinder hinterließe. Diese Bestimmung wird als das Fundament der ganzen Kommunität erklärt, denn da es eine bestimmte Anzahl einzelner Theele nicht gibt, sondern sie sich bald vermehren, bald vermindern, je nachdem viel oder wenig Kinder das sind, so würde die Sozietät untergehen, wenn auch Fremde Theele erhalten könnten, während sie sich so erhalten, indem jährlich mehrere Theele aussterben. Im Ausegabuch heißt es darüber: Nach den Grundregeln der Sozietät darf kein Theelachter seine Erbtheel, auch nicht einmal an seine nächsten Blutsverwandten, veräußern.
Nur alleine die Descendenten eines Theelbauern, die ehelich geboren sein müssen, denn auch en legitimiertes Kind wird ausgeschlossen, fuccedieren in die Erbtheelen. Da alle Collateraten, selbst Brüder, ausgeschlossen werden, so erlöscht die Erbtheel eines ohne Kinder oder Enkel verstorbenen Theelbauern und fällt der Sozietät zurück. Eine Erbtheel ist daher die Ahnenprobe eines Theelbauern. Sie beurkundet ihm seine uralte ächte ostfriesische Abkunft. Kein deutscher Edelmann kann aus einem so greisen Zeitalter das Vaterland seiner Vorfahren mit solcher Gewißheit angeben, als der ostfriesische Theelbauer.
Hat der Vater mehrere Söhne nachgelassen, so fuccediert der jüngste in die väterliche Erbtheel und tritt solche ipso jure gleich an. Den übrigen Söhnen wird von der Sozietät, sobald sie eine besondere Dekonomie anfangen, ebenfalls eine Theel angewiesen. Wenn also der Vater auch zehn Söhne nachgelassen hat, so bekommt doch jeder einen Theel, so daß sie folglich zusammen zehn Theelen erhalten, obwohl der Vater nur eine gehabt hat.
Nur in dem Fall, wenn keine Söhne vorhanden sind, folgt die Tochter in die väterliche Erbtheel und heißt dann Erbbäuerin. Verkauft ein Unbeerbter seine sogenannten Kauftheele, so kann das zwar geschehen, aber nach des Verkäufers Tode genießt der Käufer weiter seinen Vorteil davon, da er wohl Eigentümer des Kauf- oder schlechten Theeles sein kann, das Besitzrecht davon aber nicht erwirbt und nach seinem Tode das Theel an die Acht zurückfällt. Wenn ein Theelbauer sein Erbtheel an einen anderen Theelbauern, veranlaßt durch Not oder sonstige Umstände, veräußert, so wird er „für einen Landaffen“ gescholten,
gleich als ehrenrührig gehalten, aus dem Gericht der Theelbauern verwiesen und zu keinem Zeugnis in der Theelsachen zugelassen. Menckebach übrigens gibt dem Worte des Landaffen eine andere Bedeutung. Er soll nach seiner Auffassung anders verstanden werden, als es im allgemeinen ausgelegt wird. Ein Affe könne damit nicht gemeint sein, vielmehr einer, der von seinem Lande „ab“ ist, dessen beraubet ist, oder, wie man in der friesischen Muttersprache sagen könnte: de is van sinem Land aff oder off, zumal er seine auf denen erworbenen Landen gehabte Gerechtigkeit veralinieret, und nicht mehr daran hat, sondern davon ist.
Die Bestimmungen für die Veräußerung der Erbtheele sind übrigens in späteren Zeiten gemildert, nach und nach sind infolgedessen die meisten Erbtheele Kauftheele geworden. Zwischen Erbtheelen und Kauftheelen bleibt aber ein großer Unterschied. Die Erbtheele vererben sich nur in gerader absteigender, niemals in aufsteigender Linie auf die Nahkommen. Die Söhne genießen dabei den unbedingten Vorzug vor den Töchtern. Von ihnen wird der Jüngste in jedem Fall Theelbauer zu vollen Anteilen an Stelle des berechtigten Elternteils bei dessen Tode. Er braucht das Theel nicht, wie es heißt, anzutasten, also um Anerkennung seines Rechtes und um Aufnahme als Bauer zu bitten. Die älteren Brüder können unter bestimmten Formen (durch Zeugnis zweier Erbbauern) um Aufnahme als vollberechtigter Bauern nahsuchen, wenn sie sich verheiratet haben und einen selbstständigen Haushalt außerhalb dem des Vaters oder des jüngsten Bruders führen. Ein Erbbauer kann zwar mehrere Kauftheele, aber nur ein Erbtheel in jedem der acht Theele besitzen. „he is in alle Theele bearft“ wird sprichwörtlich
von einem Begüterten gesagt. Nimmt der Theelbauer eine Frau, die mit ihm in demselben Theel beerbt ist, so kann er nur ein Theel in Nießbrauch behalten, das andere verfällt der Gesellschaft der Theelbauern solange, bis einer der Ehegatten stirbt. Alsdann sind die Söhne oder in deren Ermangelung die Töchter berechtigt, ihres verstorbenen Vaters oder ihrer verstorbenen Mutter Theel anzutreten und der überlebende Gatte kann das andere ferner benutzen.
Der jüngste Sohn tritt dabei an die Stelle des oder der verstorbenen und jeder der übrigen Söhne erhält ebensoviel, sobald er sich verheiratet und, wie schon ausgeführt, eine getrennte Haushaltung führt.
Die Besitzer der Erbtheele bilden die berechtigte Bauernschaft. Sie wählen aus ihrer Mitte die vier Beamten der Acht, die Theelachter. Ihnen steht die Aufnahme neuer Bauern zu. die das Bauernrecht antasten. Sie haben das Recht des Zeugnisses für die Aufzunehmenden. Sie geben die Genehmigung zu Verkauf von Erbtheelen und üben in ihrer Gesamtheit Vorkaufsrecht aus. Die seit etwa 300 Jahren eingeführten Kauftheelen, deren Besitzer nicht die Rechte und Gebräuche der Erbbauern ausüben können, vererben nicht nach Theelrecht, sondern nach dem geltenden bürgerlichen Rechte und werden deshalb wohl „schlechte Theelen“ genannt. Sie gehören ohne Zweifel zu den angenommenen Willküren. von denen v. Wicht spricht, denn sie passen sich dem Theelrecht nicht an, welches betreffs der Erbfolge den leitenden Grundsatz aufstellt, daß altes Erbgut beim Blut bleiben muß, entstanden sind sie vermutlich dadurch, daß in Not geratene Familien ihre Theele veräußerten, als sie noch eine Rente ausmachten und das Geld einen ganzen anderen Wert hatte.
Soll ein Neubauer nach seiner Heirat in die Genossenschaft aufgenommen werden, sein Recht antasten, so meldet er sich vor St. Johannis-Baptist, dem 24. Juni, mit welchem Tage das Rechnungsjahr der Theelacht beginnt, beim zuständigen Theelachter.
Der gibt ihm einen Schein folgender Inhalts: Dato (Tag) hesst sick (Name) bye uns angeben und begehret up syen Averbeste Vaders (Name) in (Osthover) Theel antotasten unde steidt up de Arfburen Erkandtnisse, of se hem vor ein Arf-Bur willen annehmen of niet. (Unterschrift des Theelachters.) Wenn die Verteilung der Pachterträgnisse erfolgt, oder, wie es heißt, die Theelen ausgeteilt werden, präsentiert er seinen Zettel in der Theelkammer. In der Versammlung klopft dann der Theelbote auf mit den Worten: „Hört to, ji Arfburen,“ verliest den Schein und schließt mit den Worten: „Arfburen up de Deele.“ Im Theelrecht heißt es nun weiter: Der dann den Angriff tuen will, beruft die Erbbauern mitten in die Kammer und stellt ihnen solches vor, ob nicht seine Theelen gut. Ins heutige Deutsch übertragen heißt das, ob es als erbberechtigter Sohn seines Vaters angesehen und erkannt wird. Darauf wird von den Erbbauern darüber gesprochen und muß es solches mit zeit Zeugen beweisen. Mit diesen Zeugen begibt er sich zu den Theelachtern am Tisch, die es da denn auch bezeugen müssen, daß es ein Erbtheel sei. Alsdann wird er als Erbbauer angenommen, wird aber für diesmal bis zur nächsten Jahresversammlung als Neubauer bezeichnet und als solcher unter Angabe der Namen der Zeugen in die Annalen der Acht eingetragen.
Der Neubauer muß nun den Halbscheid der Theelheuer dabei tun. der ganze Betrag wird zum Besten der Armen verwandt. Den Beschluß der Neuaufnahme bildet dann jener altertümliche Brauch, der nach dem Theelrecht wörtlich wie folgt festgesetzt ist:
„Folgendes muß der Neubauer eine Kanne Bier mit entblößtem Haupt ausschenken und auf der Theelachts Wohlfahrt einen Becher Bier austrinken, welcher ihm vom Theelachter zugebracht worden. Darauf muß er, wie man sagt, hensen und kehret den Becher auf dem Tische um, worunter zwischen einen Glase ein Würfel vorhanden (der übrigens auf jeder seiner sechs Seiten sechs Augen hat), so viele Becher Bier muß er wegen der Hensung austrinken. Es kann aber mit einem Schilling abgekaufet werden.“
Die Einnahmen aus den Erbpachten fließen in die Kasse der einzelnen Bücher und gelangen nach Anzug der Unkosten zur Auszahlung an die in der Theele Berechtigten. Die hohe des Zinses mag im Duschschnitt ein Taler für das Diemat betragen.
Daneben treten immer mehr die Einnahmen aus Hypothekenzinsen. Bei Gelegenheit der Auszahlung des Zinses hält die Acht in ihrer Stube im alten Rathause zu Norden ihre Versammlungen ab, die mit einem den herkömmlichen Ueberlieferungen entsprechenden d.h. bescheidenen Trinkgelage verbinden sind. Die Stadt Norden hat übrigens versucht, der Theelacht das Recht an der Stube zu bestreiten und ihr die Benutzung untersagt. Sie ist aber in dem darauf entstandenen Prozeß gegen die acht unterlegen. Zur Austeilung der Theelen werden die berechtigten Bauern durch eine im „Ostfriesischen Kurier“ erfolgende Anzeige im alten herkömmlichen Wortlaut eingeladen. Sie lautet: “ Alle de Arvburen de bearvt sünd in (Ekeler) Theel, de kamen tosamen de Middeweeken Klocke twalf Uhren, allhie under dat olde Rath-Hues up de Theelkamer und empfangen hör Geld, ein jeder Arvbur sülfts na older Gewohnheit.“ Folgen die Unterschriften der Theelachter. In früheren Zeiten erfolgte diese Einladung am Sonntage vor der Versammlung von den Kanzeln der Kirchen in Norden und Hage. Bei der Austeilung der Theelen muß der Theelbote aufwarten, das auf Kosten der Acht verzapftes Bier (früher war es Warmbier) einschenken und hat dabei auch für Feuer und Licht zu sorgen. Der Tabak, der nur aus weißen Tonpfeifen (genannt lange kleine Pipen) geraucht werden darf und die mit Fidibus angezündet zu werden pflegten,
wird gleichfalls auf Kosten der Acht angeschafft. Sobald nun die Bauern in der Theelkammer erschienen sind, klopft der Theelbote dreimal mit dem eigens dazu hergestellten Klopper auf einen Tisch mit den Worten: Höret to, ji Arvburen, von Dage word utgäfen de (Osthover) Theel. Alle de hier nix to doon hebben, mutten to d´ Theelkammer herutgahn, of he worden dör de Stadt-Deener herut wäsen. Gleich danach klopft er nochmals dreimal auf mit den Worten: Höret to, ji Arvburen, dee Geld to bören hett, mutt bi d´ Tafel kamen, de Bül ist apen of he sall apen daan worden.
Der Theelachter nimmt am obersten Ende der Tafel Platz, vor ihm das Theelbook und das uralte zinnerne „Enketsfatt“. Es treten nach und nach die Arvburen und Koopburen an ihn heran und empfangen ihr Geld aus dem Beutel. Hinter dem Theelachter hängt an der Wand die aufgeschlagene Tafel, die die Namen der Theelachter seit dem 16. Jahrhundert enthält. Aus der Tonne Bier werden zu Beginn der Versammlung für jeden Theelachter zwei Kannen und eine große Klippe von annähernd drei Fahnen Inhalt entnommen. Nachdem der Theelbur sein Geld empfangen, läßt er sich nieder, um auf gut ostfriesisch zu „klönen“. Das hochdeutsche ist verpönt. Wer mit Stock oder Schirm hereinkommt, muß gleich das Wort hören: Stock bi d´ Döör. (Bei der Mitnahme derartiger „Waffen“ sind möglicherweise in früheren Zeiten üble Erfahrungen gemacht worden.) Auf dem alten, offenen Feuerherd brennen große Soden oder Torf, am Feuer stehen große zinnerne Kannen zur Erwärmung des Bieres. In Ausführung seines Amtes schenkt der Theelbote von Zeit zu Zeit das eigens zu diesem Zwecke gebraute Theelbier in die vor den Theelburen stehenden hölzernen Becher.
Später, um 5, 5 1/2 und 6 Uhr wird vom Boten wiederum je dreimal aufgeklopft mit den Worten: Höret to, ji Arvburen, de noch Geld to hören hett, mutt an de Tafel kamen, de Bül ist to of he sall to dann worden. Wenn das Bier in dem zweiten aufgelegten Faß zur Neige geht, so nimmt er das ihm zustehende „Klippbier“ heraus, klopft auf und sagt: Höret to ji Arvburen, ´t Beer ist verloopen, dee noch will drinken, mot klinken, d. h. er hat ein Trinkgeld zu zahlen.
In früheren Zeiten erfolgte die Rechnungslegung der Theelacht oft nur alle drei bis vier Jahre. Zur Rechnungslegung werden nur die Erbbauern geladen, denn sie sind es, von deren Voreltern ursprünglich die Theele herrühren, und sie werden den Inhabern von Kauftheelen oder wie es im Theelrecht heißt, den Einkömm-lingen auch darum vorgezogen, weil ihnen die Gewohnheiten und Sitten des Landes, darin sie geboren, am allerbesten bekannt sind. Bezeichnet ist nun der im Anschluß an diese Bestimmung im Theelrecht folgende Satz, mit dem offenbar eine Verärgerung der nicht erbberechtigten Theelbauern gegenüber dem bevorzugten Recht der Erbbauern gekennzeichnet werden soll: Schweigen mag derowegen und sich vertrollen die leidige Calumnia und Veleumdung, welche über diesem Stück der Erbbauern so unbillig angezapft und gelästert hat.“
Der Theelachter muß, wie es heißt: So lieb ihm seine Ehre und Seligkeit ist, nach seinem äußersten Vermögen der Kommunität Güter und Gerechtigkeit vertreten und jederzeit der Gemeine Bestes wissen und Arges abwenden. Er wird von den Erbbauern durch Stimmenmehrheit gewählt und verwaltet sein Amt lebens-länglich. Wird jemand durch das Erbrecht seiner Frau Theelachter, so wird er nicht unter die Erb- oder Theelbauern gerechnet. Sondern heißt Pelsbauer, hat jedoch, solange er im Amte ist, die Rechte eines Erbbauern. Der Theelachter bezieht ein festes Gehalt von 15 ostfriesischen Gulden, bekommt außerdem Schreibgeld bei Hebung der Theelheuer, nebst der Hälfte von dem Ab- und Auffahrtsgeld beim Verkauf von Theeland. Der Theelbote muß außer den persönlichen Dienstleistungen an die Theelbauern während ihrer Versammlungen und den Botendiensten sowie den Ceremonien und der Aufwartung die zur Theelacht gehören Utensilien wohl verwahren. Hierzu gehören außer dem alten Herd mit dem großen Theelwappen drüber und den einfachen Möbeln der Theelkammer, namentlich die Trinkgeräte und zwar eine große sogenannte Klippe aus Holz, in der bei einer außerordentlichen Versammlung Bier geholt wird, vorne mit dem Wappen der Theelacht versehen ein Halbadler und ein geharnischter Mann, oben auf dem Deckel ein schwarzer doppelter Adler und unten am Boden die Namen der Theelachter, zu deren Zeit die Klippe hergestellt ist, ferner zwei zinnerne Kannen, auf denen vorne wieder jenes Wappen steht und schließlich Trinkbecher aus Wacholderholz. Das Wappen ist ein Phantasiegebilde. Bei der Erneuerung der Geräte in der Theelstube um 1830 ist es von dem Norder Theelbauern Pauls erdacht. In jener Zeit rührte sich auch ein Bund für heimatkundliche Bestrebungen.
Man fand einen Maler, der es fertig brachte, ein Gebilde daraus zu schaffen, wie es nun vorliegt. Der damalige Amtmann Hemmo Suur, der auch der Theelacht nachforschte, wird wohl verhindert haben, daß die Normannerei mit Schild und Speer Einzug in das Wappen hielt. Denn der Amtmann war ein tüchtiger Historiker, der die Quellen (die Chroniken des 9. Jahrhunderts) gründlich untersucht hat. (Vor hundert Jahren war man aber noch nicht mit dem Namen Norden fertig geworden und hielt Norddi, Norditi, Nordwide, Nordduin als für das heutige Norden.)
Auf Grund ihrer Forschungen lehnten mit anderen Dr. Swart und Friedrich Gundermann die These von der Entstehung der Acht durch doe Normannenschlacht glatt ab, schon weil bei Norden niemals eine Normannenschlacht stattgefunden habe. Noch sei ein Wort über die Gerichtsbarkeit der Acht erwähnt. Streitige Sachen gehören nicht allein vor die Theelachter, sondern es werden aus den sämtlichen Theelen nach Gelegenheit der Sachen die ältesten Bauern zusammen-gerufen, die dann gemeinsam über die Angelegenheit befinden.
Dazu heißt es im Theelrecht: “ Es wird also allda nach der Gewohnheit prozedieret auf billigmäßiges Gutdünken und die Solennität der Rechte nicht angesehen. Demnach die zumal übel handeln, die solche Streitigkeiten zu entscheiden sich anmaßen, die hauen mit der Sichel in eines anderen Korn mit ihrem Gerbrauch zu urteilen und zu richten (weil sie der unsrigen unwissend sind) und sind in vielen Stücken strafbar und verwerflich, daß wir nicht härter davon reden. Gleichwie das Theelrecht mit den alten kaiserlichen und friesischen und Landesrechten seiner Gemeinschaft hat, so wird auch von den decidierten und erkannten Sachen (also Theelsachen) nicht appelliert oder berufen.“ So ist es Brauch und Recht bei der Theelacht, die durch alle Wandlungen der Jahrhunderte hindurch bis in unsere Zeit hinein wie ein sagenhaft umwobener Bau uralten friesischen Agrarrechts hineinragt.
Es ist ein edler Rest ursprünglichen Bauerntums, das sich, wenn wohl nicht in seiner vollen Ursprünglichkeit, so doch zu einem hervorragenden Teil dessen allen Landesrechten zum Trotz erhalten hat und als bester Beweis für die Fähigkeit ostfriesischer Art gelten kann. Die Theelacht zu Norden hat von jeher auf ihre Thelrechte als Ehrenschild und Kleinod ostfriesischen Bauerntums gehalten. Es gebührt ihr dafür Ehre und Anerkennung und die Hinzufügung des Wunsches ihres unantastbaren Bestrebens bis in ferne Zukunft, denn letzten Endes findet der ganze Stamm der Ostfriesen eine Charakterwertung in der Treue wie in der Fähigkeit und Beharrlichkeit am Festhalten alter Ueberlieferungen in der Genossenschaft der Theelbauern und Ihrer Acht in der uralten Stadt Norden.